Wie ich auf dieses Thema kam
Als ich während meines Studiums die Entscheidung getroffen
hatte,
im Theorie-Praxis‑Bereich das Projekt ‚Drogen
&
Sucht’ zu belegen, kaufte ich mir, quasi zur
Einführung, das
Buch „Sucht“ von Sebastian Scheerer.
Was ich dort schon im ersten Kapitel las, erstaunte mich nicht wenig. „Da nun Rausch und Ekstase ebenso uralte wie allgemein verbreitete (und wohldokumentierte) Phänomene sind, läge es nahe anzunehmen, daß es auch die Sucht schon immer gegeben habe. Erstaunlicherweise scheint das jedoch nicht der Fall gewesen zu sein. So merkwürdig es klingen mag: Die Menschheit hat während fast ihrer gesamten Geschichte in einer ‚Welt ohne Sucht’ gelebt ‑ in einem Zustand und einer Selbstwahrnehmung, die sich erst im Zeitalter der Aufklärung und Industrialisierung radikal änderten und zur ‚Entdeckung’, wenn nicht sogar, wie viele Wissenschaftler sagen, ‚Erfindung der Sucht’ führten.“ (Scheerer 1995:9).
Und weiter: „Entzugserscheinungen waren praktisch
unbekannt,
und die Vorstellung, daß Menschen unter einem krankhaften
Zwang
leiden könnten, immer wieder bestimmte Substanzen zu
sich
nehmen zu müssen, war völlig fremd. Man lebte ...
trotz
vielfachen und häufig exzessiven Drogenkonsums in einer
‘Welt ohne Sucht’“ (Scheerer
1995:15). Dies
gelte sowohl für das seit alters her bekannte Opium als auch
für Alkohol.
Warum mich das so erstaunte? Am besten drückt wohl meine
Empfindungen Hasso Spode aus: „Die Gewißheit,
daß es
‚Sucht’ gibt, gehört zu den
Selbstverständlichkeiten des Alltagswissens.“ (Spode
1993a:158) Und ebendort, am Beispiel des Alkoholismus: „Jeder
weiß, daß es Alkoholiker gibt. Alkoholiker ‑ dies
dürfte der kleinste gemeinsame Nenner
konkurrierender
Auffassungen sein ‑ leiden an der Unfähigkeit, ihr
Trinkverhalten
zu kontrollieren. Eine solche Unfähigkeit ist zweifellos eine
Krankheit, man nennt sie Sucht oder Abhängigkeit. Analoge
Süchte werden in nahezu unbegrenzter Zahl beobachtet:
Tablettenabhängige, Fixer, Mager‑ und Fettsüchtige,
Raucher,
Workoholics, Spieler und so fort“ (Spode 1993a:158).
Mich beschäftigte vor allem die Aussage von Scheerer,
daß
trotz exzessiven Gebrauchs von Opium und Alkohol in der
Vormoderne
Entzugserscheinungen „praktisch unbekannt“ waren.
Wie
konnte das sein? Auch während meines Praktikums, das ich unter
aktiven wie kürzlich entzogenen Drogensüchtigen
verbrachte,
sah und hörte ich immer wieder von quälenden
Opiat‑Entzugserscheinungen. Auch von Alkohol hörte ich,
daß
es kaum weniger angenehme Entzugserscheinungen verursachen kann. (Vgl.
Material: AES und OES). Solche Symptome mußte es doch auch
vor
1800 gegeben haben, mutmaßte ich und überlegte recht
bald,
ob ich nicht in meiner Diplomarbeit diese Frage einmal
gründlich
untersuchen sollte.